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GRC-Pressemitteilung: Laienreanimation nach Herz-Kreislauf-Stillstand: „Es ist nur falsch, nichts zu tun!“

15.06.2021  

Herz-Kreislauf-Stillstand mitten auf dem Fußballplatz! Die halbe Welt wird am Wochenende Zeuge, als der dänische Nationalspieler Christian Eriksen kollabiert. Ersthelfer vor Ort reagieren sofort und beginnen mit einer Herzdruckmassage und bringen sein Herz wieder zum Schlagen. Tatsächlich ereilt in Deutschland täglich 200 Menschen das gleiche Schicksal: Ihr Herz hört auf zu schlagen. Aber nur wenige wissen, was in einer solchen Situation zu tun ist, um diesen Menschen das Leben zu retten. So geht es nur für 10 Prozent so glimpflich aus, wie für Eriksen!
Der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC) macht deshalb dem DFB, der FIVA und der UEFA einen Vorschlag: Laienreanimationstraining vor jedem Fußballspiel zeigen! Das könnte 10.000 Menschenleben pro Jahr alleine in Deutschland retten. Ein Gespräch mit dem GRC-Vorsitzenden Prof. Dr. med. Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operativen Intensivmedizin der Uniklinik Köln.


Ist der Fall Christian Eriksen etwas Ungewöhnliches, Herr Professor Böttiger?
Das passiert alleine in Deutschland etwa 200 Menschen täglich. Nur eben nicht auf dem Stadionrasen und vor laufender Kamera, sondern meist still und unbemerkt zu Hause. Deshalb nehmen diese Fälle meist keinen so guten Ausgang wie bei Herrn Eriksen. Bei ihm ist die gesamte Rettungskette unterm Strich hochprofessionell gelaufen.

Also Glück im Unglück, dass sofort professionelle Hilfe zugegen war?
Wenn man einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet und sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen wird, dann ist die Chance, dass man ohne spürbare Folgen überlebt, sehr hoch. Den Rettungsdienst rufen und umgehend mit Laienreanimationsmaßnahmen beginnen: Das verbessert die Überlebenschance um den Faktor drei. Tatsächlich wird aber bei uns nur in rund 40 Prozent der Fälle mit einer Laienreanimation begonnen. Früher, bevor die deutsche Anästhesiologie und der Deutsche Rat für Wiederbelebung und andere mit ihren Aufklärungs- und Schulungskampagnen begonnen haben, lag der Wert sogar unter 20 Prozent.

Warum reicht es nicht, den Notarzt zu rufen und zu koordinieren?
Wenn man die im Mittel neun Minuten wartet, die der Rettungsdienst braucht, um vor Ort zu sein, dann ist es meistens zu spät. Deshalb überleben derzeit bei uns in Deutschland nur maximal 10 Prozent der Patienten einen Herz-Kreislaufstillstand. Mindestens 70.000 Menschen sterben bei uns pro Jahr, auch wegen fehlender Laienreanimation.

Was passiert bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand in unserem Körper?
Das Herz sorgt dafür, dass alle Organe mit Sauerstoff versorgt werden. Sauerstoff ist überlebenswichtig für alle Organe, vor allem aber für das Gehirn. Wenn das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird, weil das Herz nicht mehr pumpt, hört das Gehirn schon nach 10 bis 15 Sekunden auf zu funktionieren. Dann wird der Mensch bewusstlos. Das Gehirn ist so empfindlich, dass es nach drei bis fünf Minuten anfängt zu sterben. Wenn also der Rettungsdienst nach neun Minuten kommt, kommt er praktisch immer zu spät. Deshalb: Immer sofort mit einer Herzdruckmassage beginnen, der sogenannten Laienreanimation.

Viele Zuschauer wurden bei Eriksen Zeuge von Kollaps und Wiederbelebungsmaßnahmen. Hätte jeder helfen können? Die große Mehrheit hätte wohl nicht gewusst, was zu tun ist…
Leider! Dabei ist Wiederbelebung kinderleicht. Alles was man braucht, sind zwei Hände. Getreu dem Motto: PRÜFEN-RUFEN-DRÜCKEN oder Hauptsache-Heftige-Herzdruckmassage.
Erstens: PRÜFEN, ob Lebenszeichen vorhanden sind. Ist derjenige ansprechbar? Atmet er normal? Wenn nicht, liegt ein Kreislaufstillstand vor. Zweitens: RUFEN, also die 112 verständigen, um Notarzt und Rettungsdienst schnell herzulotsen. Drittens: Selbst sofort mit der Herzdruckmassage beginnen! Den Patienten in Rückenlage bringen, Brustkorb freimachen und den Druckpunkt für die Herzdruckmassage bestimmen. Dieser liegt in der Mitte der imaginären Linie, die die beiden Brustwarzen bilden. Mit beiden Händen übereinander und ausgestreckten Armen, mit den Schultern über dem Patienten dann Drücken-Entlasten-Drücken-Entlasten. Beim Erwachsenen sollte man fünf bis sechs Zentimeter tief drücken. Das ist in etwa so breit wie ein Smartphone. Man legt seine beiden Hände übereinander und pumpt mit einer Frequenz von 100 bis 120 Mal pro Minute. Das ist richtig schnell und richtig fest. Deshalb empfehlen wir, dass sich jeder ein Lied merkt, das den richtigen Rhythmus hat, z.B. „Stayin Alive“ von den Bee Gees, der Radetzkimarsch oder auch „Atemlos, durch die Nacht“, „Highway to hell“.

Wie lange sollte eine Herzdruckmassage durchgeführt werden?
Bis der Notarzt kommt! Jede Unterbrechung, die länger als 5 Sekunden dauert, verschlechtert das Überleben. In der Regel ist man als Ersthelfer bereits nach zwei Minuten erschöpft. Deshalb sollte man sich, wenn man nicht alleine ist, nach spätestens zwei Minuten ablösen lassen, damit die Herzdruckmassage neun Minuten hocheffektiv durchgeführt werden kann. Der Wechsel sollte zügig und ohne Unterbrechung laufen.

Kann ich etwas falsch machen?
Nein, falsch wäre nur, nichts zu tun!

Und wenn ich in dem Moment nicht mehr weiß, was zu tun ist?
In einer solchen Situation ist die Telefonreanimation sehr wichtig. Über die Rufnummer 112 erklärt die Leitstelle am Telefon bis zum Eintreffen des Notarztwagens, was zu tun ist. Leider ist eine solche Telefonreanimation in Deutschland nicht flächendeckend entwickelt. Der Deutsche Rat für Wiederbelebung setzt sich entsprechend schon seit Jahren dafür ein, dass in Deutschland jede Leitstelle den Anrufer bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand telefonisch anleitet.

Warum hat dieses Thema anscheinend bei uns so einen geringen Stellenwert? Es ist einfach zu lernen. Es ist wirksam. Jeder hat die Möglichkeit, Leben zu retten. …
Das liegt wahrscheinlich daran, dass ein plötzlicher Herz-Kreislauf-Stillstand nicht so spektakulär ist und meist sehr still abläuft. Wenn drei Menschen in einem schweren Autounfall tragisch ihr Leben verlieren, dann ist das am nächsten Tag auf den Titelseiten. Es sterben aber täglich bei uns 200 Menschen, weil ihr Herz plötzlich aufhört zu schlagen – und hier wird kaum in Schulung und Aufklärung investiert. Dabei ist diese Zahl so groß, als würde täglich ein voll besetztes Flugzeug abstürzen. Jeden Tag!

Der Deutsche Rat für Wiederbelebung setzt sich dafür ein, in diesem Punkt entschieden etwas zu ändern.
Richtig. PRÜFEN-RUFEN-DRÜCKEN ist eine Bürgerpflicht. Das sollte jeder können, wie Fahrradfahren und Schwimmen. PRÜFEN und RUFEN können Kinder bereits im Kindergarten, Vierjährige können bereits erkennen, wenn jemand keine Lebenszeichen mehr zeigt. Da gibt es zahlreiche schöne Beispiele dafür. Wir fordern deshalb, dass Kinder und Jugendliche bereits in der Schule lernen, wie eine Herzdruckmassage funktioniert und wie wichtig es ist, mit Reanimationsmaßnahmen anzufangen. Bereits im Alter von 10 bis 12 Jahren hat ein Kind dann genug Kraft für eine Herzdruckmassage, also etwa ab der siebten Klasse. Hier sollte Wiederbelebungsunterricht einsetzen. Und dann jedes Jahr zwei Stunden Wiederholung, um Gelerntes aufzufrischen. Dann können wir über diese zwei Stunden Zeiteinsatz pro Jahr 10.000 Menschenleben zusätzlich retten. Es gibt einige wenige Bundesländer, die diesbezüglich sehr aktiv sind. Die meisten aber leider nicht. Deutschland ist Entwicklungsland, was die Kenntnis der Laienreanimation angeht. Wir sind absolutes Mittelmaß. Viele andere europäische Länder sind da schon viel weiter.

Was meinen Sie? Hat das persönliche Schicksal von Christian Eriksen jetzt wachgerüttelt?
Es ist ja ganz wunderbar, wie gut die Geschichte dieses jungen Fußballspielers ausgegangen ist. Und so könnte es oft ausgehen, wenn alle vor Ort sofort reagieren würden. Tatsächlich könnte mit diesem Vorfall bei der EM jetzt ein Wendepunkt in Sachen Laienreanimation eintreten. Ich glaube deshalb, dass dieses Ereignis, so tragisch es ist, auch wieder viele andere Menschenleben retten wird.

Dann nur nicht so prominent auf dem Fußballrasen…
…nein, wohl nicht. Aber trotzdem könnte der DFB ja den Faden aufgreifen. Über den Sport, über Fußball, erreicht man sehr viele Menschen. Wenn der DFB entscheiden würde, dass mit Beginn der ersten Bundesliga-Saison vor jedem Spiel zehn Minuten Reanimationstraining gezeigt würde, könnte das die Quote der Laienreanimation um ein Vielfaches steigern. Und auch die UEFA und die FIVA könnten damit positive Impulse setzen.

Der Herz-Kreislauf-Stillstand ist eine Art stille Pandemie, die wir schon seit Jahrzehnten in unserem Land haben. Es ist wichtig, dass wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, mehr Menschenleben zu retten. Bei keiner anderen Erkrankung kann man so gezielt und schnell helfen. Wenn jedes Kind Reanimieren genau so lernt wie Fußballspielen und Fahrradfahren, werden deutlich mehr Betroffene so glücklich sein wie Christian Eriksen. Das ist unser Ziel!